un|lesbar wahr|nehmen
Janika Wetzig
Masterarbeit, 2018
8:17min
Welches ist das erste Wort, das mir begegnet? Wo begegnet es mir und was sehe ich, wenn ich es genau betrachte? Text nehmen wir täglich wahr. Er ist vielerorts in geschriebener Form präsent, sodass wir ihn kaum oder sogar überhaupt nicht bewusst lesen und sehen. Dass (schriftliche) Texte wahllos umhertreiben, war gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. Platons Kritik an der Einführung von Schrift. Viele Jahrhunderte später, im 16. Jahrhundert, als Martin Luther die Bibel ins Hochdeutsche übersetzte, bediente Luther sich nicht nur dem Medium Schrift, sondern auch einem für seine Zeit „Neuen Medium“, dem Buchdruck mit beweglichen Lettern. Dieser bewegliche Bleisatz ermöglichte eine schnellere, effizientere und insbesondere mechanische Vervielfältigung von Texten. So entwickelte sich die Möglichkeit in kürzester Zeit in hoher Auflage und sogar in Massen zu produzieren, was wiederum zu einem Verfahren führte, das das Zeitalter der Massenmedien begründete. Sprache ist ebenso Massenmedium und Grundlage der Gesellschaft. Was Schrift als tradiertes Medium heute für uns bedeutet, hat einen langen Prozess der Gewöhnung durchlaufen.
Mit der Sprache haben wir eine Form gefunden unsere Wirklichkeit zu organisieren und zu vermitteln. Wir neigen dazu, Repräsentationen unmittelbar aufzunehmen, zu verarbeiten und zum Beispiel mit Erinnerungen zu verknüpfen. Ich denke, das was wir sehen und lesen nehmen wir schnell als Wahrheit an, wenn die Inhalte zum Beispiel unserer Vorstellung und unserem Weltbild entsprechen. Wie wir wahrnehmen, rezipieren und was für Inhalte und Bedeutungen wir Texten entnehmen, ist von kulturellen, religiösen und sozialen Erfahrungen und Einflüssen sowie von unseren Erinnerungen, unserer Persönlichkeit und Moral abhängig. Die Verschiedenheit zwischen einer Wirklichkeit, die auf wahrhaftigen Erfahrungen, Erkenntnissen und dem wahrhaftigen Wissen beruht und einer repräsentierten Wirklichkeit kann mit dem Medium Schrift nicht überwunden werden. Ein Medium stellt nicht nur ein äußeres Mittel dar, das eine Wirklichkeit repräsentieren oder darstellen kann, sondern vielmehr einen Bestandteil der Wirklichkeit, wenn es unser Denken, Handeln und die Sinneswahrnehmung, also das Verhalten mit dem wir uns in der Welt bewegen, beeinflussen und prägen kann. Eine reflektierte Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit den Medien ist aus diesen Gründen meiner Meinung nach von großer Wichtigkeit, um eine persönliche Meinung oder Sichtweise über Inhalte entwickeln zu können.
In meiner Arbeit stehen Form und Körper, also die Materialität von Schrift, dem Inhalt und der Bedeutung gegenüber Ich arbeite mit Zitaten, die mir während meiner theoretischen Auseinandersetzung zum Thema Schriftkritik begegnet sind. Es entsteht ein Raum zwischen Abstraktion und Konkretion. Wahrheit und Fiktion. Konnotation und Denotation. Lesen und Sehen.